über Otto Wilms
 

Otto Wilms - Händler, Gastwirt, Mundartdichter
von Horst Wilms

Text in: 250 Jahre Carlsberg. Gemeinde Carlsberg 1750-2000, S. 85-89

Mein Vater wurde als Jüngster von neun Geschwistern am 2. Oktober 1915 in Carlsberg geboren. Sein Vater war Steinmetz und seine Mutter trug mit einer kleinen Landwirtschaft zur Ernährung der Familie bei. Nach der Volksschule trat er 1930 eine Lehre als Kaufmann bei der Carlsberger Firma Gebr. Burghardt, Textil und Bekleidung, an. Nach der Lehre arbeitete er dort als Angestellter, bis er 1936 zum Pflichtarbeitsdienst nach Altrip musste. Danach machte er sich mit dem Verkauf von Hohner-Musikinstrumenten als Kaufmann selbständig. 1939 wurde er zum Militärdienst eingezogen. Er diente bei der Flak in Holland, Frankreich und Russland. Am 7. Mai 1945 geriet er an der Elbe in englische Kriegsgefangenschaft. Ende 1945 kehrte er heim und ließ sich in Altleiningen und später in Ludwigshafen nieder. Wiederum wurde der Handel sein Broterwerb. Er stand damit in der Tradition seines Heimatdorfes, dem Händlerort Carlsberg. Seine Geschäftsreisen führten in vor allem in den Schwarzwald, die Schwäbische Alb und das Bodenseegebiet.

Schon als Schuljunge hatte er gerne Gedichte vorgetragen. Ein Gedicht von Karl August Woll, Es Schellche, das er bei der Einweihung der Volksschule in Carlsberg vorgetragen hatte, liebte er besonders. Wenn er bei Veranstaltungen alte Klassenkameraden traf, sagten die oft: "Trag doch noch einmal Es Schellche vor, was er dann auch tat. Schon früh hat er selbst Gedichte geschrieben. Die ersten Gedichte, die ich von ihm gesammelt habe, stammen aus dem Krieg.

Für ihn war es ein besonderer Anreiz, dass die Rheinpfalz samstags als Beilage den "PÄLZER FEIEROWEND" herausbrachte, der seine Gedichte veröffentlichte. Er hatte einen sehr guten Kontakt zu dem damaligen Redakteur, Herrn Dr. Dautermann. Samstags erwartete er mit großer Spannung die Rheinpfalz. Zuerst schlug er den "PÄLZER FEIEROWEND" auf, um zu sehen, ob ein Gedicht von ihm veröffentlicht war. Meist war dies der Fall. Dann freute er sich sehr. Er war stolz darauf, der Verfasser zu sein, vom dem die meisten Gedichte im "PÄLZER FEIEROWEND" erschienen. Vielleicht weil es Herrn Dr. Dautermann unangenehm war, so viele Gedichte von einem Verfasser herauszugeben, wurden einige Gedichte meines Vaters unter dem Pseudonym Karl Berg in Anlehnung an Carlsberg veröffentlicht. Besonders freute er sich, als der Verlag Daniel Meininger aus Neustadt 1955 ein Gedichtbändchen von ihm herausbrachte: "E pälzisch Buch".

1952 zogen wir von Altleiningen nach Ludwigshafen in den Ankerhof. Hier pflegte mein Vater den Kontakt zu seinen Pfälzer Dichterkollegen, zu Ludwig Hartmann, Kurt Kölsch, Karl Räder, Helmut Metzger und dem Bellemer Heiner. Ludwig Hartmann besuchte uns eine Zeit lang fast täglich. Er wohnte in der Gartenstadt und liebte es, in die Stadt zu fahren, ein wenig zu bummeln und seinen Kaffee zu trinken. Bei dieser Gelegenheit besuchte er auch uns. Der Bellemer Heiner kam zu uns, wenn er in der Nähe einen Auftritt oder in der Rheinpfalz etwas zu tun hatte.

Von Ludwigshafen wickelten meine Eltern die Geschäfte ab in der Art, dass mein Vater im Schwarzwald oder auf der Schwäbischen Alb verkaufte und meine Mutter die Ware in den Textilgroßhandlungen in Mannheim oder in Carlsberg bei der Firma Burkhardt oder bei Herrn Bäumer besorgte. Ich besuchte die Schule und halt am Abend, die schweren Pakete nach Mannheim auf die Bahn zu bringen, um sie per Expressgut zu verschicken.

Noch in den Nachkriegsjahren war dieser Wanderhandel ein Gewerbe, von dem man einigermaßen leben konnte. Nachdem aber die entlegensten Gebiete durch Straßen erschlossen waren, immer mehr Leute sich Autos kauften und der Versandhandel hinzukam, wurde das Geschäft immer schwieriger. 1970 war der Wanderhandel ein Anachronismus. Das war meinen Eltern klar. Da hörten sie, dass die "Wäzebäz", die Hausgaststätte der Weizenbierbrauerei in Rheingönheim, zu verpachten sei. Ich erinnere mich genau, als meine Eltern sagten, dass sie die "Wäzebäz", pachten würden. Innerhalb von 14 Tagen mussten sie sich umstellen von Hausierhandel auf Gastronomie. Dies war der Zeitraum, während der die Gaststätte renoviert wurde. Am Tag der Eröffnung wähnten wir uns gut vorbereitet. Meine Mutter und meine Frau standen in der Küche und mein Vater und ich hinter der Theke. Wir hatten Brot eingekauft, eine Steige Salt, Kartoffeln und Fleisch. Nach einer Stunde war das Brot ausgegangen, der Salat aufgebraucht und das Fleisch ging zur Neige. So eilten wir in die nahegelegenen Geschäfte, um Nachschub zu kaufen. Zum Glück war die Essenszeit bald vorbei, so dass wir überlegter einkaufen konnten. Am Abend ging der Trubel von vorne los.

Es gibt in jeder Gastwirtschaft Stammgäste, die das Geschehen genau beobachten. Die saßen von Anfang an da, prüften uns sachverständig mit kritischen Blicke, tranken ihr Weizenbier und raunten sich in echtem Vorderpfälzisch zu: "Die machen des net lang". In der Tat hätten wir es nicht so schnell geschafft, wenn nicht die benachbarte Bäuerin, bei der wir die Kartoffeln für die Pommes frites und das Gemüse gekauft hatten, Frau Baumann, gewesen wäre. Die kam und sagte: "Ich zeige Ihnen, wie wir das vorher gemacht haben". Und dann hantierte sie mit 6 Pfannen gleichzeitig. Manchmal stiegen meterhohe Flammen aus den Pfannen. Sie beherrschte aber ihre Pfannen und das Feuer so souverän, dass wir nicht einmal die Feuerwehr zu Hilfe rufen mussten.

Was wir aus der Küche rausbrachten, war echte Pfälzer Kost. Wir verbrauchten pro Woche Dutzende großer Eimer von Sauerkraut. Das Sauerkraut bezogen wir von der Firma Hook aus Altrip. Im Grunde machten wir das Sauerkraut nur in einem großen Topf in großen Mengen sorgfältig heiß. Später beschäftigten wir im Turmrestaurant gelernte Köche, die das Sauerkraut mti allen möglichen Mitteln zu verfeinern suchten: Mit Äpfeln, mit Sekt, mit Rieslingwein. Ich habe nie ein besseres Sauerkraut gegessen als unser Sauerkraut in der "Wäzebäz". Die Bratwürste holten wir aus Hertlingshausen vom Metzger Noll, der das Vieh noch von der Weide kaufte und selbst schlachtete. Von Frau Baumann gebraten waren Bratwürste mit Sauerkraut ein Gedicht. Ich sehe sie heute noch vor mir, zartbraun, die Haut ein bisschen aufgeplatzt, das heiße Fett sprudelte noch leicht heraus, und dazu das Sauerkraut und reichlich Brot, Bauernbrot, das wir von der Bäckerei Schall aus Maudach bezogen. Bei den Schnitzeln war die Hauptattraktion das Jägerschnitzel. Es war bedeckt mit Pfifferlingen, auf die gehackte Eier und Petersilie gestreut waren. Dazu gab es selbst gemachte Pommes frites. Zu diesem Zweck trat meine Schwiegermutter Ida Marchetti morgens an und schälte tagsüber ein Fass Kartoffeln. Die wurden nach Bedarf mit dem Pommes frites-Schneider geschnitten und kamen goldgelb auf den Teller. Bei diesem Aufwand verwunderte es nicht, dass die Besucherzahlen zunahmen. Mit der Zeit bekamen wir auch die Mengen, die einzukaufen waren, in den Griff. Die skeptischen Stimmen, dass wir es nicht schaffen würden, wichen zustimmender Begeisterung. Allmählich gewöhnten sich meine Eltern auch an den normalen Geschäftsbetrieb.

Kaum hatte mein Vater die Gaststätte im Griff, begann er an die Kunst zu denken. Auf einmal hingen Bilder in der Gaststube und im Nebenzimmer oder es standen Skulpturen da. Die Künstler waren sowieso Gäste. Nun fanden sie den Mut auszustellen. Das war für beide gut. Durch die Bilder sah die Gaststätte schöner aus und die Künstler hatten ein sehr breites Publikum.

1975 übernahmen meine Eltern das Turmrestaurant im Ebertpark. Jetzt war der Rahmen größer und die Gästeschar noch zahlreicher. Trotzdem schaffen es meine Eltern. Unter der Leitung meines Vaters entwickelte sich das Turmrestaurant zu einer Begegnungsstätte vieler pfälzischer Künstler. Maler, Schriftsteller, Sänger, Musiker und Bildhauer hatten dort ihre Auftritte.

1984, meine Mutter war damals schon 72 Jahre alt, gaben meine Eltern das Turmrestaurant auf. Mein Vater trat in den sogenannten Ruhestand. Er hatte seit Jahren den Ortsring Ludwigshafen des Literarischen Vereins der Pfalz geleitet und seit 31 Jahren war er Ordensbruder der Weinbruderschaft der Pfalz. Nun konnte er sich noch stärker seiner Dichter- und Vortragstätigkeit widmen. Rückblickend kann man sagen, dass er mit diesen letzten Jahren sein Leben ohne geschäftlichen Druck beschließen und sich ganz seinen geliebten Versen zuwenden konnte.

Weil im die Gedichte meines Vaters so gut gefielen, hatte der Inhaber der Druckerei Kröner in Oggersheim, Herr Muth, ihn immer gedrängt, seine Gedichte zu einem Buch zusammenzustellen. Am 28. Januar 1981 konnte mein Vater sein Buch "Pälzer Land un Pälzer Lewe" vorstellen. Am 30. Oktober 1992 erlitt er nach einem Gedichtvortrag anlässlich der Herausgabe eines Buches von Frau Meißner in Bad Dürkheim einen Herzinfarkt und starb am 2. November in Bad Dürkheim.

Wahrscheinlich hat kein Mundartdichter so viele Weihnachtsgedichte geschrieben wie mein Vater. Kurz vor seinem Tod hatte er sich darangemacht, seine Weihnachtsgedichte zu sammeln. Als er starb, fanden sich die gesammelten Gedichte in seiner Schreibtischschublade. Ich habe sie dann im Dezember 1993 in dem Buch "Gedichte zur Weihnachtszeit" veröffentlicht. Im März 2000 brachte ich zusammen mit Helmut Becker das Buch "Pälzer Worzle" mit bisher noch nicht veröffentlichten Gedichten meines Vaters heraus. In diesen Gedichten beschreibt mein Vater die romantischen Orte der Pfalz, die Burgruinen und historische Persönlichkeiten. Da sich in den Gedichten die tiefe Verwurzelung mit seiner Pfälzer Heimat zeigt, haben wir als Titel des Buches "Pälzer Worzle" gewählt. Beate E. Becker verstärkt diese Eindrücke mit Motiven aus der Pfalz und der Natur.

Geprägt wurde mein Vater durch seinen Heimatort Carlsberg. Schon in der Schule war sein Talent zum Vortrag aufgefallen. Warum er so viele Gedichte in Pfälzer Mundart schrieb, begründete er auf seine Art: "Wir waren in Carlsberg arme, einfache Leute. Carlsberg war nicht der Ort, wo sich jedermann des Hochdeutschen befleißigte: Do is pälzisch geredd worre." Seine Aufgabe als Mundartdichter sah er darin, die Mundart zu pflegen, die Heimatliebe zu wecken und den Menschen eine Freude zu machen.

© 2005 Carsten Wilms